Zusätzliche Kosten für ihre tauben Angehörigen in der Pflege: Die Töchter einer gehörlosen Seniorin finden das ungerecht und kämpfen vor Gericht. Weil sie vor den Bundesgerichtshof ziehen wollen, bitten sie um finanzielle Unterstützung. Der Fall hätte Signalwirkung für alle gehörlosen Senioren in Deutschland.
Seit August 2011 lebt die gehörlose Eleonore Walte im Seniorenzentrum des Christophoruswerk Duisburg. Die 74-Jährige entschied sich für diese Einrichtung, da sie auf Gehörlose spezialisiert ist. Dort beherrschen Mitarbeiter die Gebärdensprache und ein gehörloser Mitarbeiter organisiert diverse Freizeitaktivitäten. Dieses Angebot ist Teil des Konzepts „Sprechende Hände“, das die Einrichtung 2012 von Krankenkasse, Sozialamt und Landschaftsverband bewilligen ließ.
Was Eleonore Walte damals nicht gesagt wurde: Die Mehrkosten für die aufwendigere Kommunikation sowie für den zusätzlichen gehörlosen Mitarbeiter werden ihr und anderen gehörlosen Bewohnern in Rechnung gestellt – beziehungsweise ihren Angehörigen. Pro Monat handelt es sich um 460 Euro, zusätzlich zu den normalen Pflegekosten.
Für Anja Bosserhoff und Renate Walte eine „himmelschreiende Ungerechtigkeit“. „Sicherlich ist die Pflege aufwendiger, aber den Gehörlosen steht ein Dolmetscher zu! Dies ist gesetzlich verankert!“, schreiben die hörenden Töchter der Eleonore Walte. Sie weigerten sich, die Mehrkosten zu zahlen. Daraufhin wurden sie von der Stadt Duisburg verklagt. In erster Instanz, vor dem Amtsgericht Düsseldorf, verbuchten die Töchter einen Erfolg. Die Fernsehsendung Sehen statt Hören berichtete über diesen Fall.
Für die Töchter wäre es zwar theoretisch möglich, dass ihre Mutter in ein normales Pflegeheim zieht. „Für jede Tätigkeit der Pflege müsste man einen Dolmetscher hinzuziehen, den die Pflege- bzw. Krankenkasse zu zahlen hat.“ Die Kosten würden sich so auf 2.500 Euro pro Monat belaufen. Dass das Konzept der für gehörlose Senioren speziellen Einrichtung genehmigt wurde, ist aus Sicht der Töchter klar: „Denn dann müssen sie die Kosten ja nicht zahlen.“
Doch die Stadt als Träger des Seniorenwohnheims ist der Ansicht, dass sie nicht für die Kosten aufkommen muss und legte Revision ein. Das Oberlandesgericht Düsseldorf gab der Stadt recht und verurteilte im Juni 2017 die Töchter dazu, rückwirkend für drei Jahre die Kosten von mehr als 20.000 Euro zu übernehmen – außerdem dazu die Prozesskosten in Höhe von knapp 16.000 Euro. Aber das Oberlandesgericht ließ auch die Möglichkeit einer Revision zu, gegen das Urteil können die Töchter also Beschwerde einlegen. Dann würde sich der Bundesgerichtshof in Karlsruhe mit dem Fall beschäftigen.
Allerdings kämen auf die Töchter geschätzt 25.000 bis 30.000 Euro Mehrkosten zu – wenn sie diesen Gerichtsprozess verlieren. Deshalb schrieben sie den Deutschen Gehörlosen-Bund sowie dessen Landesverbände an und baten um finanzielle Unterstützung. „Wir würden gemeinsam für die Rechte der Gehörlosen kämpfen. Bitte bedenken Sie, jeder Gehörlose ist irgendwann davon betroffen“, ist in dem Schreiben zu lesen. Der Förderverein „Zeichen setzen!“ eröffnete ein Spendenkonto (Bankverbindung siehe unten).
Ob Revision eingelegt wird, muss bis zum 29. Juli entschieden werden. „Die Angelegenheit liegt zur Zeit bei einem in Karlsruhe zugelassenen Rechtsanwalt zur Prüfung vor“, so Tochter Renate Walte. Das Ergebnis dieses Rechtsstreits würde nicht nur diesen Fall betreffen, sondern auch viele andere gehörlose Senioren in Deutschland. Die Töchter wollen das Urteil nicht hinnehmen. „Den Altenheimen sind dann Tür und Tor geöffnet, sich speziell an Gehörlosen eine goldene Nase zu verdienen. Die Rechte der Gehörlosen wurden mit diesem Urteil mit Füßen getreten“, so Anja Bosserhoff.
Dürfen Pflegeheime Mehrkosten für taube Bewohner verlangen? Laut Bosserhoff hatte die Sehen statt Hören-Redaktion dem Bundesgesundheitsministerium diese Frage gestellt, der Pressesprecher antwortete: Die zusätzlichen Kosten hätten nicht nur auf die gehörlosen Bewohner umgelegt werden dürfen, sondern auf alle Bewohner (also auch auf die hörenden). Diese Ersteinschätzung stimmt die Töchter optimistisch. In der heutigen Pressemitteilung bat der Deutsche Gehörlosen-Bund (DGB) um finanzielle Unterstützung für diesen Fall. Die Option einer Verbandsklage sei aus Sicht des DGB allerdings nicht gegeben, weil „es sich um eine Familienrechtssache handelt“.
Letzte Woche überwies der Landesverband Bayern der Gehörlosen 1.500 Euro auf das Spendenkonto. Dass es sich bei Eleonore Walte nicht um einen Einzelfall handelt, bestätigte Bernd Schneider vom Landesverband: „Ich verfolge dieses Thema seit einiger Zeit, da unsere Mitglieder vom gleichen Problem betroffen sind.“
Spendenkonto:
Förderverein „Zeichen setzen!“ Gehörlosenkultur in Essen e.V.
Sparkasse Essen
IBAN: DE77 3605 0105 0000 2568 18
BIC: SPESDE3EXXX
Verwendungszweck: Urteil Pflegeheim
Foto: Bayerischer Rundfunk/Sehen statt Hören