Geliebt für seinen Humor, geschätzt für sein unermüdliches Engagement: Das Leben des Willi Huck war geprägt von Errungenschaften – und einer historischen Fusion zweier Landesverbände. Am 25. Februar 2018 starb Willi Huck im Alter von 76 Jahren
Von Ulrich Braig
Die Geschichte der Gehörlosen in Deutschland seit 1945 ist auch die Geschichte von WilliHuck. Willi Huck hat viel erlebt und auch viel gearbeitet. Vor allem hat er sich für die Rechte der Gehörlosen und die Entwicklung des Deutschen Gehörlosen-Bundes eingesetzt. Am 14. April feierte Willi Huck seinen 75. Geburtstag. Auf das, was er erreicht hat, kann er mit Recht sehr stolz sein.
Die Stadt Baden-Baden im Nordschwarzwald galt einst als „Europas Sommerhauptstadt“ mit internationalem Flair. Dort wurde Willi Huck 1941 geboren. Er war nur eineinhalb Jahre alt, als er durch Diphterie und Scharlach sein Gehör verlor und sein rechtes Auge erblindete. Huck lebte in seinen ersten Jahren während der Kriegszeit mit seinen Eltern in der badischen Schwarzwaldstadt Gaggenau.
Hucks Vater war als Facharbeiter in der Rüstungsindustrie tätig, weswegen er gemeinsam mit seiner Familie von der Firma Daimler-Benz nach Ludwigsfelde bei Berlin versetzt wurde. Dort baute Daimler-Benz die Motoren für Flugzeuge. 1944 wurde dieses Werk in die Tschechoslowakei verlagert. Über ein Jahr blieb die Familie Huck dort, bis der besorgte Vater die Flucht zurück nach Deutschland organisierte, weit weg von den sowjetischen Besatzern. In einem Lastwagen, in dem 26 Personen versteckt waren, gelangten die Hucks ins württembergische Waiblingen bei Stuttgart, das zu diesem Zeitpunkt bereits von den Amerikanern besetzt war. Kurze Zeit später überquerten sie heimlich durch den Wald in der Dunkelheit die Grenze bei Kaltenbronn und kehrten nach Gaggenau zurück, das in der französischen Besatzungszone lag.
Es war die „Stunde Null“ in Deutschland. Ende April 1945 hatten amerikanische und französische Truppen den deutschen Südwesten erobert. Die neu entstandenen Länder Württemberg-Baden, Südbaden und Südwürttemberg-Hohenzollern entwickelten bald ein kräftiges Eigenleben mit eigenen Briefmarken und Autokennzeichen. An den Zonengrenzen standen Schlagbäume und Kontrollstellen. Schmuggel, Tausch- und Schwarzhandel blühten. Erst 1953 sollte das gemeinsame Land Baden-Württemberg entstehen.
Im Herbst 1945 begann wieder der Schulunterricht – ohne Bücher und Schreibmaterial. 1947 kam der sechsjährige Willi in die Volksschule in Ottenau, doch er musste die Schule schon bald wieder verlassen, weil er aufgrund seiner Gehörlosigkeit dem Unterricht nicht folgen konnte. Sein Vater bekam jedoch von einem Kollegen einen Tipp. Dieser wusste von einer Gehörlosenschule im württembergischen Heiligenbronn bei Schramberg. So kam es, dass Willi Huck 1949 dort eingeschult wurde und die Schule bis 1957 besuchte. Dort fühlte er sich sehr wohl.
Danach arbeitete Willi Huck für 32 Jahre als Lichtpauser bei der Firma Daimler-Benz in seiner Heimatstadt Gaggenau. Danach war er noch einige Zeit als hauptamtlicher Schwerbehinderten-Vertrauensmann tätig – bis zu seinem 60. Lebensjahr. Als er 1989 als Vertrauensmann anfing, betreute er 720 Schwerbehinderte, darunter 18 Gehörlose.
In der Gehörlosenwelt wurde Huck erst nach seiner Schulzeit 1958 wirklich aktiv. Alles begann im Gehörlosenverein Rastatt, wo er schnell in den Vorstand gewählt wurde. Im Laufe der Jahre übte er viele verschiedene Ämter in unterschiedlichen Vereinen aus. Dazu gehörten auch seine Mitarbeit im Mittelbadischen Gehörlosen-Motorclub Achern – Huck besaß einen schicken Kleinwagen DKW F12 – oder die Mitarbeit im Gehörlosen-Sportverein Rastatt. An den zahlreichen, unvergesslichen Jugendfreizeiten des Deutschen Gehörlosen-Bundes, Sparte Jugend unter Gottfried Hock, und der Diözese Freiburg und Rottenburg nahm er häufig teil, auch als Betreuer.
1969 wurde Willi Huck dann auch politisch aktiv. Er wurde zum 2. Vorsitzenden des Landesverbands Baden gewählt. 1975 berief man ihn als Mitarbeiter in das Präsidium des Deutschen Gehörlosen-Bundes. Anfangs war er Beisitzer und später Mitarbeiter unter den Präsidenten Wolfgang Czempin, Robert Brück, Ulrich Hase und Gerlinde Gerkens. Seine Mitarbeit im DGB-Präsidium hat ihn positiv beeinflusst und gestärkt. So konnte er Erfahrungen als Delegierter bei verschiedenen Weltkongressen sammeln.
1982 gab es eine große Veränderung für Huck: Der gemeinsame Landesverband Baden-Württemberg wurde gegründet. Die Fusionsgespräche beider Landesverbände waren nicht einfach und fanden mehrfach statt, obwohl die Idee, beide Verbände zusammenzulegen, schon länger existiert hatte. Am 9. Januar 1982 im Gehörlosenzentrum in Stuttgart glückte der Zusammenschluss dann endlich. 22 Delegierte aus Baden und 27 Delegierte aus Württemberg und Hohenzollern wählten Willi Huck zum 1. Vorsitzenden des neu geschaffenen Verbandes. Er behielt dieses Amt bis 1998.
In den 16 Jahren unter Huck passierte viel für die Gehörlosen in Deutschland, woran auch er zum Teil direkt mitgearbeitet hatte (siehe Auflistung unten). Sein jahrzehntelanger unermüdlicher Einsatz für die Belange der Gehörlosen wurde mit Auszeichnungen belohnt: 1990 bekam er die Karl-Wacker-Ehrenplakette des DGB und 1999 das Bundesverdienstkreuz am Bande. Darüber hinaus erhielt er noch zahlreiche weitere Auszeichnungen, darunter die Landesehrennadel von Baden Württemberg durch das Sozialministerium.
Nach 30 Jahren Mitarbeit im Deutschen Gehörlosen-Bund trat Huck zurück und wurde zum Ehrenmitglied ernannt. Warum er sich für die Gehörlosenarbeit engagierte? Er wollte gerne seinen Schicksalskameraden helfen. Außerdem waren Sozial-, Vereins-, und Verbandsarbeit schon immer seine Schwerpunkte.
2016 war er schon über zehn Jahre lang Rentner. Dennoch sorgte er immer noch für das Wohl der Gehörlosen – im Büro seines eigenen Hauses in Ottenau bei Gaggenau: Bis ins hohe Alter kamen gelegentlich Schwerbehinderte mit ihren Anliegen zu ihm. Hucks Büro war zu einer Art „Beratungsstelle“ geworden.
Die Ära Huck
Politische Erfolge, an denen er teilweise mitwirkte
- 1981 gab es erstmals die bundesweite Veranstaltung „Tag der Gehörlosen“ vor dem Frankfurter Rathaus. Ein Jahr später wurden im Gehörlosen- und Schwerhörigenzentrum in Frankfurt/Main feierlich 575.000 Unterschriften für „Untertitel in der Tagesschau“ an die Fernsehanstalten übergeben. Es war ein historisches Ereignis für die Gehörlosen in Deutschland und ein tolles Zeichen für den Kampf der Gehörlosen für ihre Rechte.
- 1985 trat ein wichtiges Gesetz für die Gehörlosen in Kraft: Gehörlosen durften den öffentlichen Personenverkehr wieder kostenlos nutzen, nachdem ein Jahr zuvor die Freifahrtgestrichen worden war. Dies löste eine riesige Protestwelle aus, die in der Geschichte der Gehörlosenbewegung beispiellos war. Unter dem Motto „Solidarität unser Weg – Freifahrt unser Ziel“ wurde der Kampf um die Rückgewinnung der Kostenfreiheit gewonnen.
- 1989 reiste Huck mit einer Delegation nach Ostberlin, um sich dort mit den Funktionären des Gehörlosen- und Schwerhörigenverbandes der DDR zu treffen. Dieses Thema war für ihn schon immer wichtig: Seine erste Begegnung mit Pfarrer Weithaas aus Leipzig fand beim Weltkongress in Druschba/Bulgarien statt. Weithaas unterstützte 1989 die Teilnahme der Gehörlosen an den Leipziger Montagsdemonstrationen gegen die DDR-Regierung, die zum Mauerfall führten.
- 1991 fand das „Gernsbacher Treffen“ südlich von Gaggenau statt. Dort versammelten sich Vertreter von 20 Gehörlosenverbänden, dem Deutschen Gehörlosen-Bund und den angeschlossenen Verbänden. Alle betrachteten mit großer Sorge eine negative Entwicklung in Deutschland. Die Gehörlosen wünschten sich mehr Anerkennung und Verwendung ihrer Gebärdensprache im Unterricht. Die Gernsbacher Teilnehmer wie Willi Huck waren sich dieser wichtigen Aufgabe und der Verantwortung bewusst. Sie beschlossen daher folgende Ziele: Die Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache (DGS), der gesetzliche Anspruch der Gehörlosen auf Dolmetscher und mehr Gebärdenunterstützung im Gehörlosenunterricht. Von diesem Treffen gingen viele wichtige Impulse für die Rechte der Gehörlosen aus.
- 1995 gab es eine Großdemonstration in Hamburg – über 2.000 Gehörlose kamen, um für Dolmetschereinblendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu demonstrieren. Auch wurde mehr Untertitelung bei politischen Sendungen gefordert.
- 2001 trat das Sozialgesetzbuch IX in Kraft. Wichtigster Punkt: Die Gebärdensprache wurde anerkannt und kam zum ersten Mal in einem deutschen Gesetz vor.
- 2002 trat das Bundesgleichstellungsgesetz in Kraft und die DGS wurde als vollwertige Sprache gesetzlich anerkannt. Dafür hatte Huck gemeinsam mit seinen Kameraden lange gekämpft.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der DGZ 05 | 2016.