Obwohl Krankenhäuser eigentlich die Dolmetscherkosten immer übernehmen müssten, lehnen sie oft im stationären Bereich die Bezahlung ab. Zwei ertaubte Frauen mit der gleichen Erkrankung kämpfen auf ihre Art und Weise – und hoffen auf ein rechtskräftiges Urteil
Von Wille Felix Zante
„Ich hatte neulich ein Gespräch mit einem Arzt, das werde ich nie vergessen“, sagt Lela. Sie arbeitet mit Medizinern in Sensibilisierungskursen zusammen. Sie sitzt in den Räumen von TUECHTIG, wo Lela Finkbeiner ihre Kurse vorbereitet und bald auch anbieten will. „Der Arzt sprach mich an, er hatte eine Familie in seiner Praxis gehabt, wo beim Kind Taubheit festgestellt wurde. Er hatte den Eltern, die selber gehörlos waren, ein CI empfohlen. Die Familie ist richtig aggressiv geworden. Er wollte wissen, warum – ob er da was falsch gemacht hatte.“ Solche Fragen ist sie gewohnt, hier steigt sie ein und vermittelt die verschiedenen Perspektiven auf das Thema.
Lela erklärte dem Arzt dann, dass es sich ganz einfach um verschiedene Herangehensweisen handelt. „Für Hörende ist Lautsprache naheliegend, daher das CI. Für Gehörlose ist klar, dass Gebärdensprache funktioniert, daher wollen viele Gehörlose kein CI. Für beide aber ist das Ziel das gleiche: Kommunikation. Da muss man sich dann in die gegenseitigen Standpunkte einfühlen.“ Sich einfühlen in den anderen, verstehen, das ist ihr wichtig.
Lela versucht, dies mit Sensibilisierungs-Workshops zu bewältigen, bei denen sie mit Ärzten und anderem medizinischen Fachpersonal zusammenarbeitet. Die Berlinerin will bei den Ärzten Bewusstsein dafür schaffen, was Gehörlosigkeit bedeutet. „Durch lebendiges Vorleben im Einsatz und Umgang mit Dolmetschern sehen die Teilnehmer ohne viele Erklärungen meinen Alltag. Fast alle erleben zum ersten Mal Gebärdensprachdolmetscher im Einsatz. Solche Erlebnisse sind wertvoller als hundert Erklärungen. Die Bereitschaft steigt, Dolmetscher innerhalb der Arbeit hinzuzuziehen“, so die Diplom-Sozialpädagogin.
Sie studierte in Potsdam im Rahmen des PotsMods-Modellstudiengangs mit 20 anderen Gehörlosen Soziale Arbeit. Seitdem hat sie 16 Jahre lang in verschiedenen pädagogischen und linguistischen Projekten gearbeitet und Konzepte für Kommunikationsschulungen entwickelt. Seit April bietet sie diese Schulungen speziell für den Medizinbereich an und ist daneben ehrenamtlich als Seelsorgerin und Hospizbegleiterin aktiv.
Dass es momentan einen Konflikt um die Bezahlung von Gebärdensprachdolmetschern im Krankenhaus gibt, weiß Lela natürlich. Die Regelung sieht vor: Dolmetscher bei ambulanten Behandlungen, bei denen der Patient nicht im Krankenhaus übernachtet, werden grundsätzlich bezahlt — direkt von der Krankenkasse. Genauso wie Arztbesuche. Aber wenn der Patient stationär aufgenommen wird, wie es bei Operationen und anderen langwierigeren Behandlungen der Fall ist, dann weigern sich viele Krankenhäuser, diese Kosten zu übernehmen.
Wie Lela Finkbeiner hat Conny Ebert ebenfalls Neurofibromatose Typ 2 (kurz: NF2, mehr siehe unten). Auch Conny ist öfters im Krankenhaus, auch sie verwendet Gebärdensprache. Sie bereitet sich gewissenhaft auf ihre Aufenthalte vor, hat einen Ordner mit ihrer gesamten medizinischen Geschichte dabei, welche Operationen wo und wann durchgeführt wurden. Da es in Berlin eigentlich nur eine Klinik gibt, die wirklich auf NF2 spezialisiert ist, kennen sie die Ärzte und Pfleger bereits gut. Zusätzlich lässt sie sich auf ihr Armband, das alle Patienten bei Operationen bekommen, groß „TAUB“ schreiben. Damit es keine Missverständnisse gibt.
Gerade solche Situationen sind es, für die Dolmetscher gebraucht werden. Zwar kann man — wie Lela es macht — versuchen, so viele Krankenhausbesuche wie möglich ambulant zu planen. Etwa das Vorgespräch zur Operation, bei dem die Patienten über die Risiken der Narkose aufgeklärt werden, kann ambulant durchgeführt werden. Der Patient geht dann wieder nach Hause und wird erst am Tag der Operation stationär aufgenommen. Die Krankenkasse zahlt dann den Dolmetscher für das Vorgespräch.
Dass viele Krankenhäuser sich weigern, die Dolmetscherkosten zu übernehmen, dafür gibt es vielfältige Gründe: Entweder sie sagen, diese Kosten wären in der Fallpauschale nicht vorgesehen. Oder es wird behauptet, die Krankenhäuser müssten die Dolmetscher selbst beauftragen. Wenn ein Patient also selbst einen Dolmetscher mitbringt, werden die Kosten nicht übernommen. Das ist die Argumentation vieler Krankenhäuser und so berichteten es uns verschiedene Patienten. Ein Fall kam vor Gericht, im März wurde das Urteil gefällt.
Dieser Fall liegt bereits sieben Jahre zurück: 2010 wollte eine Klinik in Hamburg die Kosten für Gebärdensprachdolmetscher nicht übernehmen. Begründung: Die Klinik hätte die Dolmetscher nicht beauftragt, außerdem sei der Betrag nicht in der Fallpauschale vorgesehen.
In dem Urteil des Sozialgerichts Hamburg von Ende März 2017 wird jedoch erklärt, dass das „Kommunikationsbedürfnis“ der Patientin gegeben war. Die Urteilsbegründung verweist auch auf einen Artikel des Justiziars Marcus Kreutz, der für einen großen Wohlfahrtsverband tätig ist. Er hat die „Vernachlässigung“ der Gebärdensprache in der stationären Behandlung als „rechtswidrig“ bezeichnet. Es ist für das Gericht von daher ziemlich eindeutig, dass die Verdolmetschung notwendig ist und das Krankenhaus die Kosten zu tragen hat. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Es wäre eine Grundlage, auf die sich taube Patienten berufen können.
Ohne diese Rechtssicherheit hat Conny Ebert als Patientin Angst, ihren Anspruch auf Dolmetschereinsatz durchzusetzen, auch wenn sie weiß, dass sie ihn hat. Sie befürchtet, auf einer „Schwarzen Liste“ zu landen und von den Krankenhäusern nicht mehr angenommen zu werden. Den Namen ihrer Klinik will sie deshalb auch nicht in der Zeitung lesen, aus Angst vor Nachteilen. Oft ist sie durch die Erkrankung, die ja auch Grund für die Krankenhausbesuche ist, zu erschöpft, um sich auf einen Rechtsstreit einzulassen. So geht es sicher vielen anderen gehörlosen Patienten. Krank zu sein und nicht zu wissen, wie es mit der eigenen Gesundheit weitergeht – das kann großen Stress bedeuten.
Einen Lichtblick gibt es: Die Vivantes-Klinikkette in Berlin bestätigte der DGZ, dass Gebärdensprachdolmetscher auch im stationären Bereich grundsätzlich bezahlt werden – ob der Patient sie selber mitbringt oder nicht. Einzige Voraussetzung: Das Gütesiegel der staatlichen Prüfung. Eine Aussage mit Vorbildfunktion, denn die Kette versorgt im Jahr 250.000 Patienten stationär.
Nicht alle Gehörlosen verfügen über den Erfahrungsschatz von Conny oder Lela. Für sie ist es wohl noch einmal eine viel befremdlichere Situation. So sagt es auch Lela: „Die Ärzte fragen mich immer wieder, warum Gehörlose solche Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben. Ich versuche das dann zu erklären. Für die Gehörlosen, die Schwierigkeiten mit dem Schriftdeutsch haben, ist es wichtig, dass die Dolmetscherversorgung gesichert ist.“
Wie viele Gehörlose nehmen im Krankenhaus einen Dolmetscher hinzu? Es ist schwierig, genaue Zahlen zu bekommen. Ein Sprecher der Techniker Krankenkasse sagt, dass sie im Jahr 2016 ganze 19 Dolmetschereinsätze bezahlt hätten, im Klinikbereich es aber 300 Patienten mit der Diagnose Taubheit gab – was ein Anteil von lediglich 6,33 Prozent bedeutet. Dies würde aber auch Patienten einschließen, die nicht wegen ihrer Taubheit zur Behandlung im Krankenhaus waren, sondern zum Beispiel wegen eines Beinbruchs. Die Taubheit könnte ein Arzt auch zusätzlich vermerken, als „Nebendiagnose“.
Es ist eine beeindruckend niedrige Zahl. Denn nicht immer wird es als Nebendiagnose erfasst, wenn ein Patient taub ist. Es gibt also eine höhere Dunkelziffer von Patienten, die nicht als gehörlos gelten, etwa weil es bei der Behandlung nicht um die Taubheit geht. Außerdem kann man davon ausgehen, dass ein Großteil der 300 genannten Patienten keine Gebärdensprachkenntnisse hat und somit nicht von DGS profitiert. Trotzdem wären die 19 Fälle immer noch ein sehr geringer Anteil von Gehörlosen, der Dolmetscher erfolgreich in Anspruch genommen hat.
Roland Krusche begleitet und besucht gehörlose Patienten im Krankenhaus, häufig sind es Senioren. Der Pfarrer der Evangelischen Gehörlosenseelsorge in Berlin erlebt es oft aus erster Hand, dass keine Dolmetscher bestellt werden. „Wo Familienangehörige vorhanden sind, da helfen die. Wenn ich Besuche mache, werde ich oft gebeten, Fragen zu dolmetschen.“ Auf seine Nachfragen, wie die Kommunikation abliefe, sagten Ärzte und Pfleger, dass sie schriftlich kommunizierten oder über Lippenlesen. „Wir sprechen laut und deutlich“, habe er von Krankenhausmitarbeitern gesagt bekommen. Beim Personal besteht also oft der Eindruck, die gehörlosen Patienten bekämen alles mit.
Tatsächlich ist es anders, wie Krusche erzählt: „Im Gespräch mit den Patienten erfahre ich, dass die nicht wissen, was mit ihnen gemacht wird, welche Diagnose gestellt wurde oder wie lange sie im Krankenhaus bleiben werden. Manche stellen gar keine Fragen, weil sie die Antwort doch nicht verstehen. Aber die tauben Patienten protestieren nicht, was verständlich ist in so einer angstbesetzten Situation der Abhängigkeit. Doch das Krankenhaus sieht gar kein Problem.“
Auf der einen Seite also Gehörlose, die zögern, ihre Ansprüche durchzusetzen – auf der anderen Seite Krankenhäuser, die keine Probleme in der Kommunikation sehen oder mit Verweis auf die Kosten eine Bezahlung ablehnen. Lela Finkbeiner sieht darüber hinaus Schwierigkeiten der Kliniken, Dolmetscher in die Arbeitsprozesse einzubinden. „Es ist schwierig einzuschätzen, wie lange eine Operation dauert, wann jemand zum Beispiel aus der Narkose erwacht, wann jemand ansprechbar ist.“ Auch erlebt sie, dass das Personal in Krankenhäusern überbelastet und unterbezahlt ist — was die Ablehnung von Dolmetschereinsätzen wohl als leichte Lösung erscheinen lässt, weil das Problembewusstsein fehlt.
Neben der grundsätzlichen Verunsicherung bei Dolmetschereinsätzen gibt es noch ganz andere Problemfelder, weiß Lela: „Gehörlose Angehörige haben keinen Anspruch auf Gebärdensprachdolmetscher. Sind deine hörenden Eltern im Krankenhaus, bekommst du keinen Dolmetscher. Ebenso wenig wenn dein hörender Partner im Krankenhaus liegt.“ Sie versucht das Problem ganzheitlich anzugehen, das Klinikpersonal aufzuklären und für den Umgang mit tauben Menschen zu sensibilisieren. „Schon wenn der Pfleger ‚Guten Morgen‘ gebärden könnte, wäre das eine erhebliche Verbesserung des Aufenthaltes.“ Gewiss steckt dahinter auch die Hoffnung, durch das Bewusstsein und den Kontakt mit Gehörlosen würde die Bereitschaft steigen, sich grundsätzlich auf sie und ihre Bedürfnisse einzulassen.
Solange das Hamburger Urteil nicht rechtskräftig ist, müssen die gehörlosen Patienten also selbst für ihre Kommunikation im Krankenhaus sorgen. Ideal wäre es, wenn sie eine Klinik in der Nähe kennen, die bereit ist, die Kosten zu übernehmen.
Wo es möglich ist, kann das Ungleichgewicht durch Selbstorganisation ausgeglichen werden, etwa indem man, wie Conny, die eigene Krankenakte mitbringt und für unmissverständliche Kennzeichnungen sorgt. Oder aber es wird versucht, möglichst viele Krankenhausaufenthalte ambulant abzuwickeln, wie Lela es macht. Beides kann jedoch keine langfristige und erst recht keine Lösung für diejenigen Leute sein, welche dieses Organisationsgeschick nicht besitzen. Besonders wenn es um Leben und Tod geht.
Bei der Neurofibromatose Typ 2 (NF2) handelt es sich um eine Erkrankung, bei der sich Tumore bilden. Sie kann vererbt werden oder durch eine Gen-Veränderung, eine sogenannte Mutation, entstehen. Man unterscheidet Typ NF1 und Typ NF2. Das Hauptsymptom von NF2 sind das Wachsen gutartiger Tumore, die sich oft auf Nervenbahnen festsetzen. Diese Tumore können viel Platz im Körper wegnehmen. Im Bauchbereich ist das vielleicht kein großes Problem, aber im Kopfbereich ist wenig Platz. Wenn man die Tumore operativ entfernt, werden die Nervenbahnen verletzt. Dadurch sind oft die Hör- und Sehnerven betroffen.
Tipps für den Krankenhausbesuch mit Gebärdensprachdolmetschern
Bei geplanten Besuchen:
- Melde beim Krankenhaus Dolmetscherbedarf an
Wenn das Krankenhaus sich bei (teil-)stationären Behandlungen weigert, die Kosten zu übernehmen:
- Weise das Klinikpersonal darauf hin, dass du einen gesetzlichen Anspruch auf Dolmetscher hast
- Weise es auch darauf hin, dass du das Recht hast, die Dolmetscher selbst auszuwählen
Wenn es keine andere Lösung gibt:
- Versuche, so viel wie möglich ambulant zu machen (z. B. das Vorgespräch zu einer OP). Dann werden die Kosten sicher von der Krankenkasse übernommen
- Wende dich an die Patientenfürsprecher des Krankenhauses und weise sie auf die ablehnende Haltung des Krankenhauses hin
- Wende dich an den örtlichen Dolmetscherverband und hole dir Unterstützung bei der Durchsetzung deiner Rechte, am besten vor dem Krankenhausaufenthalt
- Der Deutsche Gehörlosen-Bund gab eine Infobroschüre zum Thema Dolmetschen im Gesundheitswesen heraus. Zeige diese dem Personal
Dieser Artikel ist in der DGZ 07 | 2017 erschienen. Ursprünglicher Preis war: 5,95 €3,95 €Aktueller Preis ist: 3,95 €.
DGZ 07 | 2017
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Der Artikel spiegelt genau die aktuelle Situation Gehörloser in Krankenhäusern wieder und dazu noch perfekt mit DGS begleitet -> TOP gemacht, halt die DGZ ;-))
In Krankenhäusern dürfte doch eigentlich so langsam zum Standart gehören, dass man einen oder zwei Mitarbeiten durch Schulungen mit Gebärdensprachkompetenz ausbildet. Mit Bildungsprämie und Bildungsbafög kommt der Arbeitgeber sogar noch fast kostenlos davon!