Der Autor und Psychologe Harlan Lane ist am 13. Juli 2019 gestorben. Der Wissenschaftler forschte mit Schwerpunkt auf der Gebärdensprache und der Kultur der Gehörlosen. 1960 machte er seinen Doktor der Psychologie an der Harvard-Universität und erhielt 1973 seinen zweiten Doktortitel von der Sorbonne-Universität. Danach verfasste er 1976 ein Buch über den „Wolfsjungen“ Victor von Aveyron. Aveyron wuchs größtenteils im Wald auf und konnte, als er in die Zivilisation zurückkehrte, nicht sprechen. An ihm versuchte der Audist und Mediziner Jean Marc Gaspard Itard ein Exempel zu statuieren, um aus dem wilden stummen Jungen ein angepasstes, laut sprechendes Kind zu machen.
Lane vertiefte mit seinen darauf folgenden Veröffentlichungen seinen Schwerpunkt auf die Deaf History. Mit der Seele hören (1988 auf deutsch erschienen) wurde ein Standardwerk der Gehörlosenforschung. Lane beschreibt aus der Perspektive von Laurent Clerc die Geschichte der Gehörlosen, und wie sie im Laufe des 19. Jahrhunderts durch die Gebärdensprache befreit wurden, nur um diese Freiheit dann im Zuge der Mailänder Kongresse wieder zu verlieren. Das Buch war ein Meilenstein der Deaf History.
1994 folgte Die Maske der Barmherzigkeit, in der Lane die aktuelle Situation in den Vereinigten Staaten beschreibt. Die titelgebende „Maske“ ist ein Versuch der Hörenden, aus angeblich wohltätigen Gründen die Gehörlosen als körperlich Behinderte zu heilen. Diese Maske riss Lane der hörenden Mehrheitsgesellschaft vom Gesicht und entblößte sie als das, was sie sind: audistisch. Der Signum Verlag, bei dem das Buch auf deutsch erschien, fasst es so zusammen: „Mit seinem großen Wissen und seinem genauen Blick für das Detail schildert Lane den Kampf Gehörloser um Wahrnehmung und Anerkennung ihrer Sprache und Kultur.“
Die Nachricht von seinem Tod verbreitete sich über Twitter. Graham H. Turner, ein schottischer Translationswissenschaftler, bezeichnete ihn als „einen der bedeutendsten Forscher der Deaf Studies“. Professor Christian Rathmann bedankte sich „für alles, was du den Gehörlosengemeinschaften gabst“. Andere Online-Kondolenzeinträge sprachen wiederholt von einem „Riesen“ der Deaf Studies, welcher Lane gewesen sei.
Zuletzt hatte Lane an der Northeastern University in Boston eine Professur inne. Seine Schwerpunkte waren Kultur und Gebärdensprache der Gehörlosenwelt, Wahrnehmung bei Hörenden und Gehörlosen sowie die Sprachproduktion. Er wurde 82 Jahre alt.
Foto: Yoon S. Byun/The Boston Globe