Nach den ersten Aufführungen des neuen Theaterstücks Die Hauptsache ist das Deutsche Gehörlosentheater (DGT) nun auch von ehemaligen Schauspielern erneut kritisiert worden. Rafael-Evitan Grombelka spielte unter anderem in den Vorproduktionen Der Diener zweier Herren, Bluthochzeit und Moral mit. Er veröffentlichte am 19. März ein Facebook-Video. Ihm schließen sich DGT-Regisseurin und -Schauspielerin Julia Kulda Hroch und der zweifache DeGeTh-Preisträger Jan Sell an.
Bereits im Vorfeld des neuen Stücks hatten die Kollegen von Grombelka mit ihm zusammen kritisiert, dass Schauspieler, die keine Native Signer (= DGS-Muttersprachler) sind, gegenüber ihren tauben Kollegen bevorzugt wurden (DGZ 12 | 2018). Nun ergänzte Grombelka seine Kritik um Details zum Castingablauf im Vorfeld der Hauptsache. So seien auch die Theatermacher, die das Casting durchführten, überwiegend hörend gewesen. Außerdem hätten der Regisseur Jeffrey Döring und andere anwesende Hörende keine Gebärdensprache beherrscht. Der dafür eingesetzte Dolmetscher hatte Grombelka zufolge Schwierigkeiten, die Gebärden zu verdolmetschen. Hinzu käme, dass die Szene, die er im Casting spielen sollte, mit ihm und einer hörenden, nicht gebärdensprachkompetenten Person besetzt war. „So konnte ich meine normale Leistung gar nicht zeigen“, so Grombelka.
Weiter kritisiert er wieder, dass von neun Schauspielern fünf hörend seien, und die vier tauben Schauspieler außerdem keine Native Signer seien: „Keine Person ist ganz mit der Gebärdensprache und der Gehörlosenkultur aufgewachsen.“ So würden ihnen sprachkulturelle Kompetenzen fehlen, das Sprachforscher als „extralinguistic knowledge“ (ELK) bezeichnen. Das Posting von Grombelka wurde schnell über 100 Mal geteilt und zustimmend kommentiert. In den Kommentaren war oft von gescheiterter „Inklusion“ die Rede.
Anlass für die erneute Kritik ist ein auf Taubenschlag veröffentlichter Artikel von Benedikt Sequeira Gerardo, in dem das Stück als „schwer verständlich“ bezeichnet wird. Die Premiere in München am 2. März wurde von technischen Schwierigkeiten überschattet. So funktionierte eine Projektion mit zusätzlichen Informationen nicht. Bei der zweiten Aufführung in Berlin am 9. März klappte die Projektion, allerdings war die Leinwand in Falten gelegt und die Texte dadurch schwer lesbar. Die taube Dolmetscherin und Aktivistin Corinna Brenner äußerte sich auf ihrem Facebook-Profil wie Sequeira Gerardo zur Berliner Aufführung kritisch. Insbesondere stellte sie in Frage, ob dem Regisseur die Diskriminierungserfahrungen gehörloser Menschen bewusst sind. Auch in der aktuellen DGZ 03 | 2019 wird das Stück Die Hauptsache besprochen.
Regisseur Döring verlinkte am 13. März auf seiner Facebook-Seite einen Artikel über Freiheit in der Kunst. Er zitierte mit Hinweis auf „den Stimmen“ zur Hauptsache den folgenden Satz: „Dass Kunst einigen Gruppierungen nicht passt, ist nichts Neues.“ Thomas Zander, 2. Vorsitzender des DGT, antwortete mit einem doppeldeutigen Kommentar, ebenfalls ein Zitat: „Man braucht Kunst nicht zu verstehen, um sie zu mögen, aber man muss sie mögen, um sie zu verstehen.“
In einem Facebook-Posting bezog am 20. März auch das DGT Stellung und verteidigte erneut die Entscheidung für die Besetzung des Stücks. Dass die angenommen gehörlosen Schauspieler in Lautsprache kommunizieren und dadurch bevorzugt wurden, ist schlichtweg falsch.“ Weiter weist der Verein darauf hin, dass sie „jedes Stück“ als ein Experiment sehen: „Daher ist die Sorge unbegründet, dass das aktuelle Konzept genauso fortgesetzt wird. Alle zwei Jahren bieten wir ein neues Theaterstück an. Keine Aufführung gleicht der Anderen.“
Am 30. März wird Die Hauptsache das nächste Mal in Esslingen aufgeführt. Döring kündigte auf Facebook an, dass er anschließend für ein Gespräch zur Verfügung stehe. Sehen statt Hören hatte in einem Beitrag über die Proben und die Premiere berichtet. Diese Sendung kann noch bis zum 15. März 2020 in der Mediathek angesehen werden.
Hinweis: Kurz nach Veröffentlichung dieser Meldung hat das DGT eine Stellungnahme veröffentlicht. Die Meldung wurde daher dementsprechend angepasst.
3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Die ,,echten“ Gehörlosen, die zu dem Casting gekommen sind und abgelehnt sind, tut es mir wirklich leid.
Warum sind mehr hörende Schauspieler als gehörlose Schauspieler auf der Bühne?
Was machen die Hörenden? Heißt das immer noch, dass die Hörenden Gehörlosen abwerten?
Absolut No-Go!
Hallo Hanna,
ich glaube nicht, dass die Hörenden die Gehörlosen abwerten. Natürlich wird es da Einzelfälle geben, doch vielleicht wurden die Schauspieler nur aufgrund ihrer Leistungen ausgewählt. Ich sehe es aber genauso, dass es mehr gehörlose Schauspieler in diesem Theater geben sollte, denn genau für die ist es ja auch gemacht. Außerdem finde ich auch, dass Diskriminierung weitgehend umgangen werden sollte, indem auch die Hörenden die Gebärdensprache nutzen. Meiner Meinung nach ist es in Ordnung, wenn die Hörenden im Gehörlosentheater mitspielen, doch sie sollten nicht bevorzugt werden und sie sollten sich an die Gehörlosen und ihre Kultur anpassen.
Bitte die Pressemitteilung vom DGT anschauen. Was hier im Video mitgeteilt wird, ist gelogen. Warum werden unkommentiert Videos von einem abgelehnten Schauspieler weitergeleitet? Mit einem qualitativen Journalismus hat das nichts zu tun.